Das „Mareile“ (1871 – 1960)

Ihr heutiger 145. Geburtstag sei zum Anlaß genommen, an diese „Lichtgestalt“ unter den bekannten Rennsteigköpfen zu erinnern.

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Die frühen Renner hatten allesamt die fesche Försterstochter Maria Sauer vom Waldhaus Waidmannsheil ins Herz geschlossen, die seit frühester Kindheit Mareile gerufen wurde. Ihr zu Ehren nannten die Renner die weißen „R“s der Rennsteigmarkierung „Mareile“ und fünf Jahre später auch ihre Vereinszeitschrift.

Am Lichtmeßtag 1871 hatte Maria Sauer das Licht der Welt am Tegernsee erblickt und war mit drei Jahren aus dem Alpenland in den hohen Norden Bayerns verpflanzt worden, wo ihr Vater ein Revier auf dem Frankenwald erhielt. Das Forsthaus lag direkt am Rennsteig, der hier als fast schnurgerade Fuhrstraße 8 km über den Verbindungsrücken zwischen Schiefergebirge und Frankenwald zog, kurz vor der Grenze zu Sachsen-Meiningen.

Elf Jahre gingen ins Land, dann schneite am 1. Oktober 1885 die weite Welt in die Waldeinsamkeit, als die Bahnlinie Berlin-München nur 3 km entfernt vorbeigeführt wurde. Erholungssuchende Städter begannen die Gegend zu entdecken, und auch den Rennsteig, 1890 folgten die ersten Enthusiasten den Spuren Trinii.

Dieser hatte in seinem „epochalen“ Rennsteigbuch das – inzwischen 18jährige – Mareile erstmals verewigt, allerdings noch ohne ihren Namen zu nennen: „Drüben an dem anderen Tische saß das Töchterlein, eine untersetzte, fast üppige Blondine, mit blitzenden, lang bewimperten Augen, Grübchen in den Wangen und in den kleinen festen Händen. Zuweilen schlug sie ein paar Töne auf der vor ihr ruhenden Zither an“ und unterhielt sich „allerliebst zwitschernd“ mit der neben ihr sitzenden Freundin.

Ein Jahr später, im Sommer 1890, wanderte Alfred Roßner (1855-93) als einer der ersten von Trinius Inspirierten über den Rennsteig. In einem lustigen Wanderbüchlein erzählte er 1892 nicht nur, daß der Abend auf Waidmannsheil „der schönste unserer ganzen Wanderung“ gewesen war, sondern auch, wie er und sein Kamerad anderntags bei einem stundenlangen Irrweg zwischen Spechtsbrunn und Ernstthal das weiße R der Rennsteigmarkierung „Mareile“ tauften: Weil es sie immer so vertraut anlächelte, solange sie auf dem rechten Weg waren, sich aber neckisch versteckte, als sie an einer besonders tückischen Weggabelung nicht mehr recht weiter wußten.

Daß sich ein regelrechter Mareile-Kult in der Rennergemeinde entwickelte – Gedichte wurden veröffentlicht wie: „Ein duftig Blümerl blüht auf Weidmannsheil, labt Körper und Gemüt und heißt Mareil“ usw. – hatte mit der Person bald schon nichts mehr zu tun und verselbständigte sich zu einem Vereinsmythos in typischer Kaiser-Wilhelm-Zeit-Manier. Das Mareile heiratete nämlich schon 1891 – also ein Jahr vor Erscheinen von Roßner’s Buch – den Forstrechnungsrat Zick aus München, der dienstlich im Waldhaus eingekehrt und dem Charme der feschen Försterstochter sogleich erlegen war.

Die Verbindung zum Rennsteig und seinen Wanderern blieb aber insofern erhalten, als das Mareile jeden Sommer mit der Bahn aus München anreiste, um im Elternhaus die Wochen der Vakanz zu verleben. Gleich im ersten Jahr, 1892, gebar sie ihren ersten Sohn auf Weidmannsheil, drei weitere Kinder folgten, in deren Kreis die frühen Renner ihr Mareile im ersten Jahrzehnt der Rennsteigbewegung allsommerlich erlebten.

Maria Zick nahm die Ehre ihrer Verewigung auf dem Rennsteig übrigens mit dem ihm eigenen Humor hin, war sogar stilles Mitglied des Vereins, ohne sich jedoch im Geringsten von dem seltsamen Mareile-Kult vereinnahmen zu lassen. Ihre Enkel erfuhren beispielsweise erst sehr spät von der „Berühmtheit“ ihrer Oma, die sie bis heute als den warmherzigsten Menschen schildern, dem sie je begegneten.

1937 zog das Mareile als 66-jährige Witwe von München nach Sulzbach am Main bei Aschaffenburg, wo sie in der Familie ihrer Tochter lebte und Anfang 1960 drei Wochen vor ihrem 89. Geburtstag starb.

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Erinnerungen auf dem Rennsteig:

  • Jedes weiße „R“ der Rennsteigmarkierung ist ein „Mareile“!

(aus: Stefan Etzel: Wandern auf dem Rennsteig)

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